Teil 2: Krankengymnastik
strenge Budgetierungen der gesetzlichen Krankenkassen verlangen “Gradwanderung“ bei der Verordnung
Im Jahre 2020 stehen einem Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie für die Heilmittelverordnungen seiner Patientinnen und Patienten (KG, manuelle Therapie, KG am Gerät und Lymphdrainage) im Mittel pro Quartal und pro Patient/in exakt 22,45€ zur Verfügung.
Ein Standardrezept, welches in der Regel mit einer Behandlungsfrequenz von 6 Behandlungen verordnet wird, schlägt genau diesem verordnenden Facharzt mit 126,66€ in sein Budget. Manuelle Therapie mit 152,10€, manuelle Lymphdrainage 30 min. mit 153,72€, und Krankengymnastik am Gerät sogar mit 238,44€. Bemerken Sie gerade etwas?
Je nach Heilmittelverordnung beschränkt das von den gesetzlichen Krankenkassen zur Verfügung gestellte Budget also jeden Orthopäden, darauf, nur etwa jedem 6.-10. Patienten EINE Verordnung ausstellen zu können!
Wir als Fachärzte müssen daher entscheiden, wem wieviel Krankengymnastik zugeteilt bzw. verordnet werden darf. Dafür führen wir eine tagesaktuelle Statistik. Sie als Patientin/Patient unterliegen dabei sog. Richtgrößenvorgaben. Das heißt, daß jedes Jahr ein vorgegebenes Budget für Heilmittel für Sie festgelegt wird, was anhand Ihres Alters sowie dem durchschnittlichen Bedarf der orthopädischen Fachgruppe zugewiesen wird, und bindend zu berücksichtigen ist. Das von den gesetzlichen Krankenkassen für die fachärztliche Versorgung zur Verfügung gestellte Budget ist für uns daher nur stark eingeschränkt zu verteilen, und jede Verordnungsnotwendigkeit genau zu prüfen.
Von Ihrer Krankenkasse ist es als verpflichtend festgelegt worden, dass für Ihre Verordnung von Heilmitteln, die nicht extrabudgetär verankert ist (z.B. nach Prothesenoperationen oder nach Wirbelsäulenoperationen bei Bandscheibenvorfall), immer eine persönliche Untersuchung durch Ihren Facharzt erfolgen muß! Bei dieser Untersuchung müssen dann funktionelle Defizite festgehalten werden, die eine (weitere) Verordnung begründen. Ob nun eine Verordnung ausgestellt werden darf, ist wohlgemerkt nicht nur absolut von diesem PERSÖNLICHEN Untersuchungsbefund abhängig, sondern von Ihren Untersuchungsbefund in Vergleich zu den Untersuchungsbefunden der ANDEREN Mitpatientinnen und -patienten. Unter dieser steten Budgetierungsreglementierung gilt es also auch für uns Fachärzte manchmal abzuschätzen, welcher Patient ein Heilmittel noch mehr benötigt als ein anderer. Auch Sie als Patientin/Patient sind angehalten diesen Verteilungsmaßstab zu akzeptieren, er nennt sich: Solodaritätsprinzip! Es bildet die strukturelle Basis der gesetzlichen Krankenverischerung auch in anderen Bereichen, die wir als Patienten ggf. nicht so unmittelbar bemerken wie im Falle einer verwehrten Heilmittelverordnung.
So kommt es seit Jahren zum Ende oder auch schon zur Mitte eines jeden Quartals vor, dass wir den Patientinnen und Patienten, die unserer Meinung nach Krankengymnastik benötigen würden- oder die dieses auch einfordern – aus dem “Standardtopf“ des sog. Regelfalls kein Rezept mehr ausstellen können, und nicht mehr ausstellen dürfen! Diskussionen darüber, warum wir Ihnen ggf. eine Verordnung nicht ausstellen wollen, sind daher nicht zielführend, rauben unnötig Zeit und bringen nicht selten den Tagesablauf unnötig in Verzug. Es hat also mit „nicht wollen“ nichts zu tun, sondern eher mit nicht mehr können oder dürfen – von Gesetzes wegen!
Bleiben Sie gesund!
Dr. med. Mathias Otte